Keine Belehrungspflicht für Anschlussberufung

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Will ein in erster Instanz vollständig obsiegender Kläger im Berufungsverfahren „mehr“ erreichen, z. B. die Verurteilung wegen einer weiteren Ausführungsform, so muss er dieses Begehren im Wege einer Anschlussberufung geltend machen. Eine solche ist gem. § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässig bis zum Ablauf der dem Beklagten gesetzten Berufungserwiderungsfrist.

Zum Urteil

Relevante Rechtsnormen

§ 524 ZPO

Sachverhalt

Das Landgericht verurteilte die Beklagte wegen Patentverletzung bzgl. sechs angegriffener Ausführungsformen. Nach Eingang der Berufung bzw. Berufungsbegründung der Beklagten wurde der Klägerin unter Hinweis auf die Folgen bei Versäumung der Frist eine Berufungserwiderungsfrist gesetzt. Diese lief bis zum 13.10.2014. Am 13.10.2014 erklärte die Klägerin schriftsätzlich ihr Einverständnis mit der Aussetzung des Verfahrens. Nach Anhörung der Beklagten hierzu wurde das Verfahren per Beschluss vom 22.10.2014 ausgesetzt. Am 26.06.2015 reichte die Klägerin einen Schriftsatz mit der Überschrift „Klageerweiterung“ ein, mit welchem sie eine siebte Ausführungsform als patentverletzend beschrieb. Am 03.07.2015 folgte ein weiterer als „Klageerweiterung“ überschriebener Schriftsatz, mit dem die Klägerin sich gegen eine achte Ausführungsform als patentverletzend wandte.

Bisherige Rechtsprechung

Ob eine gesonderte Belehrung über die Möglichkeit einer etwaigen Anschlussberufung innerhalb der Berufungserwiderung notwendig ist, wird unterschiedlich beurteilt. Während das BAG und Teile der Literatur dies ablehnen (BAG, NZA 20912, 1223), bejaht das OLG Karlsruhe (GRUR 2016, 482 – Abdichtsystem) unter Berufung auf eine Entscheidung des I. Zivilsenats des BGH, GRUR 2012, 180 – Werbegeschenke wiedergegeben) die Erforderlichkeit einer solchen gesonderten Belehrung.

Entscheidungsgründe

Wird in der Berufungsinstanz eine Patentverletzungsklage in einem als „Klageerweiterung“ überschriebenen Schriftsatz des erstinstanzlich obsiegenden Berufungsbeklagten auf weitere Ausführungsformen erstreckt, besteht regelmäßig kein Raum für eine berichtigende Auslegung, dass es sich um einen bloß deklaratorischen Hinweis auf kerngleiche Verletzungsformen handele. Vielmehr stellt eine solche Prozesshandlung regelmäßig eine „echte“ Klageerweiterung im Wege einer (verdeckten) Anschlussberufung dar.

Eine Ausnahme kommt allenfalls dann in Betracht, wenn es sich bei den neuen Ausführungsformen offensichtlich um kerngleiche Verletzungsformen handelt.

Vorstehendes scheidet jedenfalls dann aus, wenn das erstinstanzliche Urteil oder (hilfsweise) die Klagebegründung erster Instanz keine Ausführungen zur Auslegung der (vermeintlich) in abgewandelter Form verwirklichten Merkmale enthalten (etwa weil die Verletzung des Klagepatents durch die erstinstanzlich allein streitgegenständlichen Ausführungsformen von vornherein unstreitig war und nur der Rechtsbestand des Klagepatents in Frage stand).

Aus §§ 524 Abs. 3 S. 2, 521 Abs. 2 S. 2, 277 ZPO ist keine Pflicht des Berufungsgerichtsgerichts abzuleiten, den Berufungsbeklagten auch über die fristgebundene Möglichkeit einer Anschlussberufung zu belehren. Diese Regelungen beziehen sich aufgrund der gesetzlichen Systematik und ihrer Entstehungsgeschichte allein auf (etwaige) Belehrungspflichten betreffend die Anschlussberufungserwiderung (und ggf. –replik) im Zusammenhang mit der Zustellung der Anschlussberufungsbegründung.

Werden weitere Patente erst nach Ablauf der Berufungserwiderungsfrist erteilt, ist eine Erstreckung der Klage auf diese Patente mittels einer Anschlussberufung wegen Fristversäumung (§ 524 Abs. 2 S. 2 ZPO) unzulässig. Abweichendes folgt auch nicht aus dem Zwang zur Klagenkonzentration (§ 145 PatG), weil der Berufungsbeklagte in einem solchen Fall ohne Verschulden gehindert ist, die weiteren Patente noch in dem ursprünglichen Rechtsstreit geltend zu machen.

Erklärt sich der Berufungsbeklagte erst am letzten Tag der Berufungserwiderungsfrist mit einer Aussetzung des Verletzungsrechtsstreits einverstanden, obliegt es seinem Prozessbevollmächtigten, dafür Sorge zu tragen, dass die Aussetzung noch innerhalb der Berufungserwiderungsfrist beschlossen und i.S.v. § 329 Abs. 2 ZPO mitgeteilt werden kann: Vorsorglich muss er einen expliziten Antrag auf (erneute) Verlängerung der Berufungserwiderungsfrist stellen, um sicherzustellen, dass ein Neubeginn des Laufes der Berufungserwiderungsfrist nach § 249 Abs. 1 ZPO eintritt.

Konsequenz

Im Rahmen der Berufungserwiderung ist stets zu überdenken, ob eine derselben Frist unterliegende Anschlussberufung erhoben werden soll.

Soll eine Berufungserwiderungsfrist verlängert und soll vor deren Ablauf über einen Aussetzungsantrag entschieden werden, sind diese Begehren deutlich kenntlich zu machen.

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