Auswechselbare Rasierklingeneinheit

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Zum Urteil

OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.01.2018, I- 15 U 66/17 (veröff. in juris)

Relevante Rechtsnormen

Art. 64 EPÜ, §§ 935, 940 ZPO

Sachverhalt

Die Verfügungsklägerin nimmt wegen behaupteter Patentverletzung die Verfügungsbeklagte zu 1), welche die angegriffene Ausführungsform anbietet, und deren Geschäftsführer, die Verfügungsbeklagten zu 2) bis 6), sowie die Herstellerin der angegriffenen Ausführungsform, die Verfügungsbeklagte zu 7), sowie die Konzernmutter, die Verfügungsbeklagte zu 8), im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes in Anspruch.

Das Verfügungspatent, welches eine auswechselbare Rasierklingeneinheit betrifft, steht in Kraft. Seine Laufzeit endet im Februar 2018. In einem 2012 von dritter Seite angestrengten Nichtigkeitsverfahren erließ das BPatG 2013 einen Hinweis, wonach das Verfügungspatent als rechtsbeständig anzusehen sei. Nach einer außergerichtlichen Einigung wurde diese (erste) Nichtigkeitsklage zurückgenommen. Im Juni 2017 reichte die Verfügungsbeklagte zu 1), der das Verfügungspatent seit langem und bei Entwicklung der angegriffenen Ausführungsform im Jahre 2015 bekannt war und die zudem vor Markteintritt die Patentsituation überprüfen ließ, eine (zweite) Nichtigkeitsklage gegen das Verfügungspatent ein. Die Einreichung dieser Nichtigkeitsklage hatte die Verfügungsbeklagte zu 1) ca. 2 Monate zuvor in einer beim Verletzungsgericht hinterlegten Schutzschrift angekündigt. Für die Einzahlung des Nichtigkeitsklagengerichtskostenvorschusses nahm sich die Verfügungsbeklagte zu 1) ca. 4 Monate Zeit.

Die Verfügungsbeklagten sind dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung u.a. mit dem Argument entgegen getreten, der Rechtsbestand des Verfügungspatents sei nicht hinreichend sicher. Es fehle die erforderliche positive Rechtsbestandsentscheidung. In dem (zweiten) Nichtigkeitsverfahren werde sich das Verfügungspatent u.a. deshalb als nicht rechtsbeständig erweisen, weil der geltend gemachte Anspruch von zahlreichen Druckschriften und zwei offenkundigen Vorbenutzungen neuheitsschädlich vorweggenommen werde.

Die Verfügungsbeklagten haben des Weiteren die Dringlichkeit bestritten. Sie behaupten, die Verfügungsklägerin habe zwischenzeitlich einer relevanten Zahl ihrer Abnehmerinnen, die sie zuvor wegen wettbewerbsrechtlicher Verstöße auf den Verpackungen in Anspruch genommen worden habe, gestattet, die geänderte Verpackung inklusiver angegriffener Ausführungsform zu verkaufen.

Der Verfügungsbeklagte zu 2) hat überdies seine Passivlegitimation in Abrede gestellt, weil er unstreitig nach der internen Zuständigkeitsverteilung der Geschäftsführung der Verfügungsbeklagten zu 1) für den Vertrieb und/oder die angegriffene Ausführungsform nicht zuständig war.

Entscheidungsgründe

In Anwendung der in Düsseldorf geltenden Rechtsprechung zum hinreichend sicheren Rechtsbestand hat der Senat festgestellt, dass es vorliegend keiner positiven Rechtsbestandsentscheidung bedarf, um von einem solchen auszugehen. Angesichts der vorliegenden außergewöhnlichen Umstände handelt es sich nämlich um einen Sonderfall, bei dem ausnahmsweise eine positive Rechtsbestandsentscheidung für den Erlass einer einstweiligen (Unterlassungs)Verfügung nicht vonnöten ist. Der Verfügungsklägerin ist es nicht zumutbar, auf eine solche Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren zu warten oder auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen zu werden.

Einen außergewöhnlichen Umstand sieht der Senat in der nur noch kurzen Schutzdauer des Verfügungspatents. Innerhalb der Laufzeit des Verfügungspatents kann der Verletzungsvorwurf nicht mehr im Hauptsacheverfahren erfolgen. Würde man die Verfügungsklägerin gleichwohl auf das Hauptsacheverfahren verweisen, wäre effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet. Sie wäre vielmehr schutzlos.

Weitere außergewöhnliche Umstände sieht der Senat in der – bis zur ersten Nichtigkeitsklage – ca. 14jährigen Akzeptanz des Verfügungspatents und der zögerlichen Erhebung der zweiten Nichtigkeitsklage. Auch wenn es einem Beklagten eines Verletzungsprozesses frei steht, ob und wann er den Rechtsbestand des gegen ihn geltend gemachten Patents angreift, kann sein (zögerliches) Verhalten bei der Beurteilung des Verfügungsgrundes Bedeutung erlangen. Wenn erst in Kenntnis des Verfügungsverfahrens die Nichtigkeitsklage erhoben wird, obwohl das Verfügungspatent seit langem bekannt war, und zudem, vor allem im Bewusstsein der Terminierungen und der durchschnittlichen Zeitläufe im Verletzungs— und Nichtigkeitsverfahren, das Nichtigkeitsverfahren zögerlich betrieben wird, bedarf es der Darlegung sachlicher Gründe, die dies rechtfertigen. Solche Gründe konnte der Senat vorliegend nicht feststellen.

Hinzu tritt der Umstand, dass das BPatG im ersten Nichtigkeitsverfahren einen Hinweis erlassen hatte, wonach das Verfügungspatent als rechtsbeständig angesehen wurde. Auch wenn dieser Hinweis keine kontradiktorische Entscheidung ersetzt, sondern nur eine vorläufige Auffassung des damals zuständigen Nichtigkeitssenats darstellt, handelt es sich um ein gewichtige fachkundige Stellungnahme und ein Indiz, welches vom Senat zu berücksichtigen ist.

Schließlich ist auch darin, dass die angegriffene Ausführungsform zu einem Preis angeboten wird, der 30 % unterhalb des Preises liegt, für den die Verfügungsklägerin ihr erfindungsgemäßes Produkt anbietet, ein außergewöhnlicher Umstand zu sehen.

In einem solchen Sonderfall ist eine Verbotsverfügung auch ohne positive Rechtsbestandsentscheidung zu erlassen, wenn das Verletzungsgericht aufgrund eigener Einschätzung für sich die Überzeugung gewinnt, dass das Verfügungsschutzrecht rechtsbeständig ist, weil sich die mangelnde Patentfähigkeit seines Erfindungsgegenstandes nicht feststellen lässt (OLG Düsseldorf Urt. v. 14.12.2017, I-2 U 17/17). Zweifel gehen mithin zu Lasten der Verfügungsbeklagten.

Streitige offenkundige Vorbenutzungen müssen mittels liquider Beweismittel dargetan werden. Die Vorlage eidesstattlicher Versicherungen ändert daran nichts.

Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gelten insoweit keine anderen Maßstäbe als im Hauptsacheverfahren. Die Tatsache, dass das Verletzungsgericht im Hinblick auf eine bestrittene offenkundige Vorbenutzung eine nur beschränkte Prüfungskompetenz besitzt, die eigene Beweisermittlungen ausschließt, darf auch im Verfügungsverfahren nicht übergangen werden (OLG Düsseldorf Urt. v. 19.03.2009, I-2 U 55/08). Da eine Vernehmung der angebotenen Zeugen nur im Nichtigkeitsverfahren erfolgt, ist unvorhersehbar, in welcher Weise die benannten Zeugen überhaupt aussagen werden und ob ihre Aussagen, wenn sie für den Nichtigkeitskläger günstig sind, für glaubhaft gehalten werden. Schon wegen dieser gänzlich unsicheren Prognose verbietet sich die Annahme, es sei mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eine Vernichtung des Patents zu erwarten. Auch die schriftlichen Erklärungen der Zeugen führen nicht zu einer sicheren Prognose. Da es für die Richtigkeit ihres Vorbringens keine objektiven Anhaltspunkte gibt, ist auch keine hinreichend zuverlässige Prognose möglich, ob die Zeugen bei den in ihren eidesstattlichen Versicherungen niedergelegten Aussagen bleiben werden und wie das BPatG ihre Glaubwürdigkeit beurteilen wird.

Soweit die Verfügungsbeklagten in diesem Zusammenhang eine Differenzierung danach vornehmen wollen, ob mittels eidesstattlicher Versicherungen technische Fragen (kein liquides Beweismittel) oder andere tatsächliche Fragen (dann liquides Beweismittel) glaubhaft bzw. bewiesen werden sollen, erachtet der Senat einer solche Unterscheidung nicht als geboten. Die in Rede stehende Prüfungskompetenz des Verletzungsgerichts ist insgesamt bzgl. aller Tatsachen, über die im Nichtigkeitsverfahren Beweis zu erheben ist, nicht gegeben.

Das Verhalten der Verfügungsklägerin stellt sich nicht als dringlichkeitsschädlich dar.

Zunächst ist zu bemerken, dass gleichartige Verstöße Dritter für die Dringlichkeit gegenüber den konkret in Anspruch genommenen Verfügungsbeklagten unbeachtlich sind; die Dringlichkeit ist (allein) im Verhältnis der Verfügungsklägerin zu den Verfügungsbeklagten zu beurteilen. Überdies steht es einem Verletzten frei, ob und gegen welchen Verletzer er vorgeht. Er kann grundsätzlich auch frei entscheiden, ob er den Hersteller einer angegriffenen Ausführungsform und/oder den Abnehmer und Vertreiber derselben in Anspruch nimmt. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn er zeitgleich von Verstößen Dritter erfährt, sofern es sachliche Gründe dafür gibt, zunächst nur einen Dritten in Anspruch zudem. Einem Verletzten ist es gleichfalls unbenommen, bei „gleichen“ Verletzungshandlungen zwischen mehreren in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen zu wählen und seinen Unterlassungsantrag gegenüber dem einen Verletzer bspw. auf UWG und gegenüber dem anderen Verletzer bspw. auf Patentrecht zu stützen. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn aus der Wahl der jeweiligen Rechtsgrundlage erkennbar besondere Schwierigkeiten und/oder zeitliche Verzögerung und/oder sonstige Umstände erwachsen, die Zweifel daran aufkommen lassen, dass es dem Verletzer mit der Rechtsdurchsetzung eilig und eine Eilmaßnahme notwendig ist.

An der Dringlichkeit bestehen auch nicht Zweifel, weil die Verfügungsklägerin gegen die Abnehmerinnen nicht (weiter) vorgeht. Daraus erwächst weder eine Aufbrauchfrist für die Verfügungsbeklagten, die in der Tat Dringlichkeitsprobleme hervorrufen könnte, noch gibt die Verfügungsklägerin damit zu erkennen, dass sie kein (berechtigtes) Interesse mehr an einer Eilmaßnahme gegenüber den Verfügungsbeklagten hat. Im Gegenteil, dadurch, dass die Verfügungsklägerin gerade die Herstellerin der angegriffenen Ausführungsform sowie die konzernangehörige Abnehmerin einschließlich der Geschäftsführung in Anspruch nimmt, belegt sie, dass sie gegen die Quelle der Patentverletzung vorgeht und sich um eine zügige und effektive Rechtsdurchsetzung bemüht. Sie duldet deren Patentverletzung gerade nicht, wie auch das anhängige Ordnungsmittelverfahren verdeutlicht.

Der Verfügungsbeklagte zu 2) ist passiv legitimiert.

Die Passivlegitimation folgt zwar nicht aus seiner Organstellung und der damit verbundenen Garantenstellung (BGH GRUR 2016, 257 – Glasfasern II m. w. N) . Sind mehrer gesetzliche Vertreter mit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen bestellt, haftet nämlich grundsätzlich nur der gesetzlichen Vertreter persönlich, der für den Vertrieb und/oder die Herstellung der angegriffenen Ausführungsform zuständig ist (OLG Hamburg GRUR-RR 2013, 464 – Z. Games; LG Düsseldorf Entscheidungen 1997, 84 – Tortenbehälter).

Vorliegend ergibt sich die Verantwortlichkeit des Verfügungsbeklagten zu 2) jedoch aus seiner positiven Kenntnis von der Verletzung des Verfügungspatents. Mit Zugang der Abmahnung wusste der Verfügungsbeklagte zu 2) um die rechtswidrige Benutzung eines technischen Schutzrechtes eines Dritten und mithin um das Bestehen der konkreten Gefahrenlage für das Schutzgut der Verfügungsklägerin durch ein Handeln der Verfügungsbeklagten zu 1). Seit dem Zeitpunkt der Kenntnis war er mithin gehalten, alles ihm tatsächlich und rechtlich Mögliche zu unternehmen, die nunmehr positiv bekannte Verletzung des Verfügungspatents durch die Verfügungsbeklagte zu 1) zu verhindern. Dass er dieser ihm obliegenden Schutzpflicht in irgendeiner Weise nachgekommen wäre, ist nicht festzustellen. Seinem Vortrag zufolge war er schlicht untätig. Dass ihm tatsächlich oder aus Rechtsgründen jedwedes Handeln unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, ist nicht zu erkennen. Derartiges folgt vor allem nicht aus dem Umstand, dass er „an sich unzuständig“ war. Ohne weiteres kann nicht angenommen werden, dass in der konkreten Situation, in der bereits der Vorwurf der Patentverletzung in Form einer Abmahnung erhoben worden ist, allein wegen der internen Zuständigkeitsverteilung jedes Handeln eines Geschäftsführers von den restlichen bzw. den „an sich zuständigen“ Geschäftsführern von vornherein unbeachtet bleibt und deshalb per se erfolglos geblieben wäre. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass ein „Widerspruch“ des Verfügungsbeklagten zu 2) gegen den weiteren Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform eine „bloße Förmelei“ gewesen wäre, sind seitens des Verfügungsbeklagten zu 2) nicht vorgetragen.

Konsequenz

In Sonderfällen muss ausnahmsweise eine positive Rechtsbestandsentscheidung nicht abgewartet werden, bevor ein Patent für ein einstweiliges Verfügungsverfahren fruchtbar gemacht werden kann. Die bisher von den Düsseldorfer Gerichten anerkannten Sonderfälle sind nicht abschließender Natur. Es genügt das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes.

Auch im einstweiligen Verfügungsverfahren muss eine behauptete offenkundige Vorbenutzung vollständig mittels liquider Beweismittel glaubhaft gemacht werden. Eidesstattliche Versicherungen von Zeugen genügen nicht.

Der nach einer internen Zuständigkeitsverteilung „unzuständige“ Geschäftsführer kann bei positiver Kenntnis von der Verletzung des Verfügungspatents nicht schlicht auf die Zuständigkeitsverteilung verweisen. Er muss konkret darlegen und ggfs. glaubhaft machen, dass und aus welchen Gründen ihm keinerlei (oder keine weiteren) Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Patentverletzung möglich und zumutbar gewesen sind.

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Ulrike Voß
Frau Ulrike Voß ist seit 2014 Vorsitzende Richterin eines Patentsenats beim OLG Düsseldorf. Zuvor war sie fünf Jahre Vorsitzende Richterin einer der Patentkammern des Landgerichts Düsseldorf. Sie ist Mitherausgeberin des im Beck-Verlages erschienen Werkes "Cepl/Voß, Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz" sowie Autorin im Beck-Online Kommentar / Patentrecht.
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