Folgen der Erweiterung des Inhalts der Anmeldung im Prüfungsverfahren vor dem DPMA und Neuheitsdisclaimer

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Die vorliegende Entscheidung beschäftigt den Leitsätzen folgend mit zwei Fragestellungen: kann sich der Patentanmelder im Prüfungsverfahren bei einem unzulässig erweiterten Gegenstand der Anmeldung in Anbetracht von § 38 I PatG darauf berufen, insoweit möge eine Korrektur wie beim erteilten Patent nach BGHZ 204, 199 – Wundbehandlungsvorrichtung; BGH GRUR 2011, 40 – Winkelmesseinrichtung) vorgenommen werden, sofern es sich nur um ein nicht offenbartes beschränkendes beschränkenden Merkmal (uneigentliche Erweiterung) handelt, oder ist die Anmeldung bei verweigerte Korrektur des Anspruchs zurückzuweisen.

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Der zweite Leitsatz betrifft die Auslegung des Patentanspruchs bei chemischen Zusammensetzungen oder Gemischen im Hinblick auf deren Bestandteile und die Klärung abschließender oder offener Formulierungen, anknüpfend an die in der Entscheidung „Reifenabdichtmittel“ (GRUR 2011, 1109) entschiedene Frage, ob die nachträgliche Beschränkung eines bestimmte Bestandteile „umfassenden“ Anspruchs in diese Bestandteile abschließend „enthaltend“ zulässig ist.

Nicht den Leitsätzen zu entnehmen ist jedoch die in der Begründung viel weiter gehende Aussage zu der bisher nur in der Rspr. des EPA etablierten Frage der Zulässigkeit eines Disclaimers, so wie von der Großen Beschwerdekammer des EPA mit G 1/03 und 2/03 (ABl. EPA 2004, 413 und 448 – Disclaimer/PPG und Disclaimer/GENETIC SYSTEMS) ausnahmsweise für den nicht offenbarten Disclaimer anerkannt und in G 2/10 (ABl. EPA 2012, 367 – Disclaimer/SCRIPPS) zum offenbarten Disclaimer weiterentwickelt worden ist.

Entscheidung

BGH Urt. v. 25.07.2017, X ZB 5/16 (veröff. in GRUR 2017, 1105 – Phosphatidylcholin)

Relevante Rechtsnormen

§§ 38 I,  45 I Satz 1,  48 Satz 1 PatG

Sachverhalt

Der X. Senat hatte eine Rechtsbeschwerde zu entscheiden, der Eine Entscheidung des 14. Senats des BPatG zugrunde lag, in welcher der Senat es als unzulässig angesehen hatte, dass der Anmelder schon im Prüfungsverfahren vor Patenterteilung den Konflikt mit einem ursprünglich nicht offenbarten einschränkenden Negativmerkmal nicht durch dessen Beseitigung lösen wollte, sondern durch die in der Rspr. des BGH für erteilte Patente anerkannte Lösung nach BGH „Winkelmesseinrichtung“ bzw. wie es der Rspr. des BPatG seit jeher entsprach, durch einen sog. „Rettungsdisclaimer“, welche der X. Senat bekanntlich für überflüssig hält. Das BPatG hatte bestätigt, dass die Anmeldung mit dem Anspruch

a) 5 – 30 Gew.-% NaCl

b) 5 – 30 Gew.-% Glycerin

jeweils bezogen auf das Gesamtgewicht der Zubereitung,

c) wobei diese Zubereitungen frei sind von Phosphatidylcholin1

d) in Handschutzcrèmes, Reinigungsmilchen, Sonnenschutzlotionen, Nährcrèmes, Tages- oder Nachtcrèmes zur Stärkung der Barrierefunktion der Haut“ mit dem Zusatz : 1Merkmal “wobei diese Zubereitungen frei sind von Phosphatidylcholin” ist nicht ursprünglich offenbart“ zu Recht zurückgewiesen worden war und die Beschwerde des Anmelders zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Der X. Senat beschied zu ersten Frage: Eine Patentanmeldung ist zurückzuweisen, wenn der Gegenstand des Anspruchs, den der Anmelder zur Prüfung stellt, über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und dieser Mangel nach Aufforderung durch die Prüfungsstelle vom Anmelder nicht behoben wird (Fortführung von BGH GRUR 1975, 310 – Regelventil). Zur Begründung verwies der X. Senat darauf, dass der Anspruch auf Erteilung eines Patents mit dem durch die Anmeldung herbeigeführten Zeitrang allein im Rahmen des Gegenstands der Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung bestehe und das Gesetz im Interesse der Rechtssicherheit ausschließen wolle, dass das Patent mit einem unzulässig geänderten Inhalt erteilt wird.

Zur Begründung des zweiten Leitsatzes geht der X. Senat von der Feststellung aus, dass das Negativmerkmal, wonach die Zubereitungen frei sind von Phosphatidylcholin, den Gegenstand der Anmeldung entgegen der Annahme des BPatG nicht unzulässig erweitert, obwohl Phosphatidylcholin in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen nicht ausdrücklich genannt war. Denn der X. Senat stellt anschließend fest, es sei aber Sojaöl und Lecithin genannt, um sodann auszuführen, dass auch aus den Anmeldeunterlagen kein Anhalt dafür bestehe, dass Phosphatidylcholin notwendiger Bestandteil der Zubereitung sei oder dass seine Zugabe auch nur als vorteilhaft angesehen werde, um sodann auf die schon aus der Entscheidung „Reifenabdichtmittel“ bekannte Auslegungsregel abzustellen, wonach eine nachträgliche Beschränkung eines Anspruchs auf eine Lehre, welche bestimmte Bestandteile nicht nur umfasst, sondern abschließend nur aus diesen besteht, nur dann zulässig ist, wenn sich in den ursprünglichen Unterlagen entsprechende Hinweise hierauf finden lassen. Der Senat stellt fest, das Merkmal bringe vielmehr nur zum Ausdruck, dass von der nach den ursprünglichen Anmeldeunterlagen möglichen Vielzahl möglicher Zusammensetzungen der Zubereitung solche ausgenommen sind, die Phosphatidylcholin enthalten.

Die Argumentation schließt damit ab, dass das Merkmal nur negativ den Gegenstand der Anmeldung von dem genannten StdT abgrenze und damit im Einklang mit den Kriterien eines Disclaimers im Sinne eines negativ formulierten technischen Merkmals nach der EPA Rspr stehe. Wenn danach auch der Zulässigkeit eines solchen Disclaimers entgegenstehe, dass sich die dadurch bewirkte Beschränkung als technisch relevant erweist, so seien im Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass mit der durch dieses Merkmal bewirkten Beschränkung des Gegenstands eine zusätzliche technische Wirkung einhergehe oder erzielt werden solle oder der Fachmann hierdurch neue technische Informationen erhalte.

Konsequenz

Während die Aussage des ersten Leitsatzes nicht unerwartet getroffen wird, überrascht die Begründung des zweiten Leitsatzes zur Verneinung einer unzulässigen Erweiterung in zweifacher Hinsicht. Die Entscheidung vermittelt den Eindruck, als sei die in der Rspr der Großen Beschwerdekammer anerkannte, aber zahlreiche Folgefragen aufwerfende Zulässigkeit eines Disclaimers zur Herstellung der Neuheit ein bereits anerkannter Grundsatz auch in der deutschen Rspr; dies im Besonderen, weil es dieser grgs. Erwägung mangels Entscheidungserheblichkeit nicht bedurfte und weil der X. Senat bisher nur vereinzelt und ohne grundsätzliche Auseinandersetzung und Leitsatzentscheidung die Grundsätze des EPA zum Neuheitsdisclaimer angewandt (Urteil v. 17.04.2012, X ZR 54/09 – Kakaopresse) oder jedenfalls auf diese hingewiesen hat (BGH GRUR 2011, 40 – Winkelmesseinrichtung).

Im Besonderen verwundert und irritiert aber die weitere Begründung, die darauf aufbaut, dass das ursprünglich nicht genannte Negativmerkmal – wohl doch – offenbart war, aber dessen Ausschluss im beschränkten Anspruch abweichend zur Entscheidung „Reifenabdichtmittel“ deshalb zulässig sei, weil es nicht den Anspruch zwingend auf die darin genannten und verbliebenen Bestandteile einschränke, sondern nur Phosphatidylcholin ausschließe, und dieses – wohl auch noch mit der Forderung nach G 2/10 – dass der verbleibende Gegenstand in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung unmittelbar und eindeutig offenbart wird – übereinstimmende Ergebnis mit einer weiteren überraschenden Folgerung verknüpft. Diese besteht darin, dass mit dem Negativmerkmal keine zusätzliche technische Wirkung einhergehe oder erzielt werden solle oder der Fachmann hierdurch neue technische Informationen erhalte und deshalb eine nach der Rspr. des EPA anerkannte Ausnahme bestehe.

Denn mag die Aufnahme des Negativmerkmals als ursprünglich offenbart und den offenen Anspruch einschränkend auch unter dem Aspekt zulässiger Ausschöpfung des ursprünglichen Offenbarungsgehalts vorliegend auch zulässig sein, so stellt sich allerdings die Frage, wieso der X. Senat hier dann noch auf die in der in der EPA-Rspr. anerkannte Thematik von offenbarten oder nicht offenbarten Neuheitsdisclaimern und der anerkannten Ausnahme fehlender technischer Wirkung (§ 3 II PatG, Art. 52 II EPÜ) eingeht, die im Hinblick auf den insoweit in diesem Fall nicht bestehenden Konflikt mit § 123 II EPÜ anerkannt wird. Denn insoweit lässt die Entscheidung jegliche Argumente vermissen, wieso trotz des entgegenstehenden StdT und der Bedeutung von ungesättigtem oder gesättigtem Phosphatidylcholin bzw. Lecithin in seiner natürlichen Form für das Emulgieren von Fetten in Hautschutzpräparaten und der Kosmetik darin kein technisches Merkmal liegen soll; auch wenn man berücksichtigt, dass insoweit nicht Technizität im Allgemeinen gemeint ist, sondern die Lösung oder Beeinflussung eines technischen Problems mit technischen Mitteln (zur st. Rspr. siehe z.B. BGH GRUR 2017, 57 – Datengenerator; GRUR 2015, 1184 – Entsperrbild; GRUR 2015, 660 ­ Bildstrom).

1 KOMMENTAR

  1. Wesentlich für den Fall “Phosphatdicholin” dürfte die Feststellung in der vorgelagerten BPatG-Entscheidung sein, dass der zu berücksichtigende Stand der Technik auf der Wirkung von Phosphatdicholin beruht und nicht – wie die beanspruchten Erfindung – ausschließlich auf NaCl und Glycerin.

    Ich lese das so, dass im Fall, dass die Erfindungen in der umgekehrten zeitlichen Reihenfolge zu datieren wären, mit der Erfindung aus dem Stand der Technik eine “Auswahlerfindung” unter den in den NaCl/Glycerin-Zubereitungen vorliegen würde, der die Neuheit – durch die Hinzufügung von Phosphatdicholin – nicht abzusprechen ist. Beide Dokumente haben unterschiedliche Erfindungen zum Gegenstand, also eine unterschiedliche technische Lehre, keine nimmt die andere vorweg, aber bei dieser umgekehrten Reihenfolge ergäbe sich ein abhängiges Patent.

    Im tatsächlichen Fall stellt der Disclaimer nicht die Neuheit der Erfindung her, und insofern werden aus ihm auch keine Rechte hergeleitet (§ 38). Vielmehr ist die beanspruchte Lehre auch bei dieser Reihenfolge eine andere als im Stand der Technik, und damit ist sie angesichts des Stands der Technik neu.
    Da aber der beanspruchte Gegenstand teilweise in den Schutzbereich des älteren Patents fällt (oder fallen würde), liegt hier ein Fall des “Freien Stands der Techik” vor (sog. Formsteineinwand), so dass dieser Teil vom Schutz auszunehmen ist. Der Disclaimer verdeutlicht dies nur, indem er diesen Teil von vorn herein aus dem Schutzbereich entfernt.

    Im Unterschied zu dieser Lesart, halte ich die Auffassung, dass ein nicht offenbarter Disclaimer die Neuheit der Erfindung “herstellen” kann, für nicht mit § 38 PatG vereinbar.

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