Standardessentielles Patent und einstweilige Verfügung

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  1. Für SEP mit FRAND-Zusage gelten die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Patentsachen.
  2. Verweigert der Patentbenutzer grundlos eine Geheimhaltungsvereinbarung zum Schutz berechtigter Geschäftsgeheimnisse des Patentinhabers, so suspendiert dies den Letzteren nicht von einem FRAND-Lizenzangebot, sondern reduziert lediglich die notwendigen Darlegungen zu dessen Begründung.

Zum Urteil

Relevante Rechtsnormen

§ 945 ZPO, Art. 102 AEUV

Sachverhalt

Die Verfügungsklägerin ist eine Patentverwertungsgesellschaft und als solche eingetragene Inhaberin eines SEP, für das eine FRAND- Lizenzzusage abgegeben ist und gegen das mehrere Nichtigkeitsklagen anhängig sind, über die bisher noch keine Entscheidung ergangen ist. Nachdem sich die Verfügungsklägerin seit November 2012 erfolglos darum bemüht hat, die Verfügungsbeklagte bzw. deren Konzern zu einer Lizenznahme zu bewegen, hat sie am 27.01.2016 beim Landgericht Düsseldorf Hauptsacheklage auf Rechnungslegung und Feststellung der Schadenersatzpflicht erhoben. Am 25.03.2016 und 13.03.2017 hat die Verfügungsklägerin der Verfügungsbeklagten Lizenzangebote unterbreitet, wobei sie sich an Vergleichsverträgen orientiert hat, die sie am 03.12.2015 und 14.05.2016 abgeschlossen hat. Im Hauptsacheverfahren erwägt das Landgericht, wegen des die Zeit vor ihrer Registereintragung umfassenden Schadenersatzbegehrens die materiellrechtlich wirksame Übertragung des Verfügungspatents auf die Verfügungsklägerin durch Beweisaufnahme aufzuklären.

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, dass sich die Verfügungsbeklagte unberechtigt weigere, mit ihr eine Vertraulichkeitsvereinbarung abzuschließen, die sie – die Verfügungsklägerin – zum Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse im Zusammenhang mit den unterbreiteten Lizenzangeboten verlangen könne. Darüber hinaus verhalte sich die Verfügungsbeklagte auch insofern unredlich und mit offensichtlicher Verzögerungsabsicht, als sie die Offerten als un-FRAND beanstandet und deswegen sogar in Irland negative Feststellungsklage erhoben habe. Zur Durchsetzung ihrer (der Verfügungsklägerin) Patentrechte sei es deshalb nunmehr geboten, einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

Bisherige Rechtsprechung

  1. Bevor der Inhaber eines SEP mit FRAND-Zusage seine Verbietungsrechte aus dem Patent durchsetzen kann, ist er verpflichtet, den Benutzer auf die Patentverletzung hinzuweisen und ihm, falls dieser eine entsprechende Lizenzierungsbitte äußert, ein konkretes, schriftliches Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen zu unterbreiten, wobei der Patentinhaber insbesondere die geforderte Lizenzgebühr anzugeben und die Art und Weise ihrer Berechnung zu erläutern hat (EuGH, GRUR 2015, 764 – ZTE/Huawei). Leistet der Patentinhaber die besagte Vorarbeit nicht, sind die Verbietungsrechte aus dem Patent nicht durchsetzbar, weswegen seine Verletzungsklage als derzeit unbegründet abzuweisen ist.
  2. Einstweiliger Rechtsschutz aus einem Patent kann grundsätzlich nur dann gewährt werden, wenn – erstens – die Verletzungsfrage eindeutig zu Gunsten des Antragstellers zu beurteilen ist, – zweitens – der Rechtsbestand des Verfügungspatents im Zweifel durch eine erstinstanzliche kontradiktorische Entscheidung hinreichend gesichert ist und – drittens – der Antragsteller bei der Verfolgung seiner rechtlichen Interessen auch selbst diejenige Eile an den Tag gelegt hat, die er im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von seinem Antragsgegner und vom Gericht einfordert.

Entscheidungsgründe

Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes aus standardessenziellen Patenten, für die eine FRAND-Erklärung abgegeben ist, kommen keinesfalls unter leichteren Voraussetzungen in Betracht als sonstige Unterlassungsanordnungen in Patentsachen. Wie sonst auch muss sich deshalb der Benutzungstatbestand mit den beschränkten Mitteln des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 294 ZPO) hinreichend eindeutig feststellen lassen; darüber hinaus hat der Rechtsbestand des SEP ausreichend gesichert zu sein und muss die Dringlichkeit des Rechtsschutzbegehrens in zeitlicher Hinsicht gegeben sein.

SEP mit FRAND-Zusage weisen hierbei die rechtliche Besonderheit auf, dass der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung nur durchsetzbar ist, wenn der Patentinhaber die ihm nach der EuGH-Entscheidung ZTE/Huawei obliegende Vorarbeit für das Zustandekommen eines FRAND-Lizenzvertrages über das Verfügungsschutzrecht geleistet hat. Sobald der Verletzte um die widerrechtliche Benutzung seines SEP weiß, gehört es deshalb nicht nur zu den Obliegenheiten einer zügigen Rechtsverfolgung, dass er den anspruchsbegründenden Sachverhalt im Tatsächlichen aufklärt und mit geeigneten Glaubhaftmachungsmitteln beweismäßig sichert, um alsdann zeitnah gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen; mit derselben Zielstrebigkeit sind darüber hinaus auch diejenigen Anstrengungen zu unternehmen, die mit Rücksicht auf die für das SEP abgegebene FRAND- Zusage erforderlich sind, um den aus der Rechtsverletzung folgenden Unterlassungsanspruch klagbar zu machen. Konkret bedeutet dies, dass im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der festgestellten Patentbenutzung eine Verletzungsanzeige gegenüber dem Benutzer zu erfolgen hat und dem Verletzer bei dessen erklärter Lizenzbereitschaft ein ausformuliertes Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen zu unterbreiten ist. Verspätete Aktivitäten bleiben allenfalls für diejenigen Zeitraum unschädlich, für den (z.B. wegen eines zunächst noch unzureichend gesicherten Rechtsbestandes) ohnehin kein Verfügungsverfahren mit Aussicht auf Erfolg betrieben werden kann. Letzteres heißt freilich nicht, dass bis zu einer streitigen Rechtsbestandsentscheidung die Bemühungen um einen FRAND-Lizenzvertrag zurückgestellt werden dürften; vielmehr sind sie – gegebenenfalls auch im Vorfeld der noch ausstehenden Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung – so zeitig in Angriff zu nehmen, dass die kartellrechtliche Sachlage in dem Moment, zu dem die dem Verletzer günstige Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung vorliegt, im Sinne einer Durchsetzbarkeit des Unterlassungsanspruchs zum Abschluss gebracht und geklärt ist.

Hinsichtlich des Rechtsbestandes des Verfügungspatents, der grundsätzlich durch ein kontradiktorisches Erkenntnis gesichert sein muss, gelten erleichterte Bedingungen dann, wenn das einstweilige Verfügungsverfahren vom unterlegenen Antragsgegner praktisch wie ein Hauptsacheverfahren geführt wird, indem er erst Monate nach Zustellung der vollstreckbaren Beschlussverfügung Widerspruch einlegt, so dass bis zum Verhandlungstermin über den Widerspruch geraume Zeit vergangen ist, innerhalb derer ausreichend Gelegenheit für Recherchen nach Entgegenhaltungen bestanden hat. In einem solchen Fall ist die Beschlussverfügung schon dann zu bestätigen, wenn der präsentierte Stand der Technik keinen Anlass zur Aussetzung eines erstinstanzlichen Hauptsacheprozesses gegeben hätte (LG Düsseldorf, InstGE 5, 231 – Druckbogenstabilisierer, bestätigt von OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.03.2006 – 2 U 55/05). Der maßgebliche Grund hierfür besteht darin, dass der von der Eilmaßnahme betroffene Antragsgegner durch sein eigenes dilatorisches Prozessverhalten bei der Rechtsverteidigung unmissverständlich deutlich gemacht hat, dass er in seiner geschäftlichen Betätigung offenbar nicht sonderlich beeinträchtigt ist, weswegen sein zunächst vermutetes Schutzbedürfnis, das Anlass für die erläuterte Zurückhaltung beim Erlass vorläufiger Unterlassungsanordnungen ist, abweichend von der Regel als tatsächlich gering zu veranschlagen ist. Mit der diskutierten Konstellation eines signifikant verzögerten Widerspruchs gegen eine in Kraft befindliche Unterlassungsbeschlussverfügung ist die Situation nicht vergleichbar, dass in einem parallel geführten, ausschließlich auf Rechnungslegung und Schadenersatzfeststellung gerichteten und seit geraumer Zeit laufenden Hauptsacheverfahren Rechtsbestandsargumente ausgetauscht werden und danach eine einstweilige Unterlassungsverfügung beantragt wird. Die Sachlage ist schon deshalb nicht ähnlich, weil der Beklagte des Hauptsacheverfahrens – anders als der Adressat einer vollstreckbaren Beschlussverfügung – gerade keinem ihn unmittelbar belastenden Unterlassungsgebot ausgesetzt ist, so dass es an jeglichem Verhalten des Antragsgegners fehlt, das Rückschlüsse auf ein mangelndes Schutzbedürfnis gegenüber einer Unterlassungsanordnung zulassen könnte.

2. Wenn die Benutzungshandlungen der Verfügungsbeklagten für die Verfügungsklägerin so belastend gewesen sind, dass ihr deren weitere Begehung nicht mehr zu zumutbar ist, wie es der jetzige, auf eine kurzfristige Unterbindung der betreffenden Geschäftstätigkeit der Verfügungsbeklagten gerichtete Verfügungsantrag suggeriert, so hätte es der Verfügungsklägerin oblegen, alsbald nach dem Bekanntwerden der EuGH-Entscheidung zügig diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die ihr eine diesbezügliche Rechtsverfolgung ermöglicht hätten. Schon vor Erhebung der Hauptsacheklage am 27.01.2016 hätte hinreichend Gelegenheit bestanden, kurzfristig eine Verletzungsanzeige anzubringen und alsdann ein FRAND-Angebot auszuarbeiten und der Verfügungsbeklagten zu unterbreiten. Dass die Verfügungsbeklagte an einer Lizenzerteilung interessiert war, konnte angesichts der seit Ende 2012 unternommenen Lizenzbemühungen seinerzeit nicht ernstlich zweifelhaft sein. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, weshalb der Verfügungsklägerin ein FRAND-Angebot, wie sie es beispielsweise im März 2016 offeriert hat, nicht schon nach dem 16.07.2015, jedenfalls vor Erhebung der Hauptsacheklage, möglich gewesen sein sollte. Das Lizenzangebot der Verfügungsklägerin vom 25.03.2016 belegt insoweit, dass ihr zur Bestimmung der FRAND-Lizenzgebühr offenbar schon der erste der beiden Vergleichsverträge, welcher vom 03.12.2015 datiert, ausgereicht hat.

Eine sinnvolle Beschränkung des Klagebegehrens im Hauptsacheprozess hätte es der Verfügungsklägerin auch erspart, den materiellrechtlichen Erwerb des Verfügungspatents zur Überzeugung des Gerichts im Detail nachweisen zu müssen, so dass die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs nicht wegen der Geltung des Teilurteilverbots hinausgezögert worden wäre. Dass die Verfügungsklägerin in diesem Fall Rechnungslegung und Schadenersatz gegebenenfalls nicht in vollem Umfang in dem nämlichen Klageverfahren hätte verfolgen können, steht der Zumutbarkeit eines limitierten Klagebegehrens nicht entgegen. Denn derjenige, der für sich eine schadensträchtige Unterlassungsverfügung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes reklamiert, dem muss auch umgekehrt abverlangt werden, bei einer möglichen Rechtsverfolgung im Hauptsacheverfahren hinnehmbare Abstriche (im Hinblick auf die Durchsetzung von Rechnungslegung und Schadenersatzfeststellung für bestimmte Zeiträume vor der eigenen Registereintragung) zu machen, wenn dadurch eine beschleunigte Durchsetzung des vordringlichen Unterlassungsanspruchs im Prozesswege möglich wird.

3. Zu Gunsten der Verfügungsklägerin mag unterstellt werden, dass ihre Lizenzangebote FRAND-Kriterien genügen und dass die Verfügungsklägerin sich bei der Herleitung der in Ansatz gebrachten Lizenzregelungen auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen berufen kann. Selbst wenn die Verfügungsbeklagte angesichts dessen unberechtigt den Abschluss einer Geheimhaltungsvereinbarung verweigert haben sollte, wäre Folge hiervon keinesfalls, dass die Verfügungsklägerin ihrer Pflicht enthoben wäre, der Verfügungsbeklagten ein FRAND-Lizenzangebot zu unterbreiten und dessen sachliche Berechtigung („Art und Weise der Lizenzberechnung“) zu erläutern. Eine zu Unrecht verweigerte Vertraulichkeitszusage des Lizenzsuchers hätte allenfalls zur Konsequenz, dass der Verfügungsklägerin nähere, ihre Lizenzkonditionen rechtfertigende Erläuterungen gegenüber der Verfügungsbeklagten in dem Umfang (aber nicht darüber hinaus!) erlassen wären, wie dies zur Wahrung ihrer berechtigten Geheimhaltungsinteressen erforderlich ist. Statt detaillierter Informationen sind daher gegebenenfalls bloß andeutende Bemerkungen zu machen. Eine aus Gründen des Geheimnisschutzes lückenhafte Argumentationskette müsste die Verfügungsbeklagte demnach als ausreichende Erläuterung einer FRAND-Gemäßheit des gegnerischen Lizenzangebotes gegen sich gelten lassen.

Konsequenz

SEP mit FRAND-Erklärung und einstweiliges Verfügungsverfahren gehen selten zusammen!

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