Aussetzung wegen offenkundiger Vorbenutzung

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Ist der Vorbenutzungssachverhalt, dessentwegen eine offenkundige Vorbenutzung der Erfindung geltend gemacht wird, streitig und deshalb im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren tatrichterlich aufzuklären, so kommt eine Aussetzung des Verletzungsprozesses mangels hinreichender Erfolgsaussicht für den Rechtsbestandsangriff regelmäßig nicht in Betracht. Ausnahmen sind allerdings denkbar!

Zum Urteil

OLG Düsseldorf, I-2 U 76/16, Beschluss vom 29.05.2017 (unveröff.)

Relevante Rechtsnormen

§ 148 ZPO

Sachverhalt

Zwischen den Parteien ist sowohl in Deutschland als auch im Vereinigten Königreich ein Patentverletzungsprozess aus demselben EP anhängig. In beiden Jurisdiktionen wird der Rechtsbestand des Klagepatents wegen einer vor dem Prioritätstag stattgefundenen Fachtagung unter dem Gesichtspunkt offenkundiger Vorbenutzung angegriffen. Einer der Tagungsleiter war der Privatgutachter der Klägerin im britischen Verletzungsverfahren. Möglicherweise deshalb war der erfindungsrelevante Inhalt der Tagung im britischen Prozess unstreitig, während die Klägerin die betreffenden Tatsachen im deutschen Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren bestreitet. Das britische Verletzungsgericht ist zu der Auffassung gelangt, dass die Fachtagung für die Erfindung des Klagepatents neuheitsschädlich ist, jedenfalls aber der Erfindungshöhe entgegensteht. Ist der deutsche Verletzungsprozess auszusetzen?

Bisherige Rechtsprechung

Wird der Rechtsbestandsangriff gegen das Klagepatent auf eine offenkundige Vorbenutzung gestützt, so führt dies regelmäßig nicht zu einer Aussetzung des Verletzungsprozesses. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Vernichtung des Klagepatents scheitert nämlich typischerweise daran, dass der Vorbenutzungssachverhalt im Tatsächlichen streitig ist und deshalb von der Einspruchsabteilung/ dem Nichtigkeitssenat des Bundespatentgerichts im Wege der Beweisaufnahme aufgeklärt werden muss. Da für das Verletzungsgericht nicht abzusehen ist, ob der notwendige Beweis geführt werden wird, verbietet sich allein deshalb die Prognose, dass das Klagepatent aufgrund der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung voraussichtlich vernichtet werden wird. An dieser Einschätzung lässt sich nicht dadurch etwas ändern, dass das Verletzungsgericht selbst die für den Vorbenutzungssachverhalt benannten Zeugen vernimmt. Eine derartige Sachaufklärung findet im Aussetzungsverfahren aus grundsätzlichen Erwägungen nicht statt; sie wäre für die Rechtsbestandsinstanz, die sich aufgrund eigener Zeugenvernehmung eine Überzeugung von der Wahrheit der unter Beweis gestellten Tatsache zu bilden hat, auch nicht bindend.

Entscheidungsgründe

Ausnahmen – im Sinne einer positiven Aussetzungsanordnung – sind jedoch denkbar:

Hat das Verletzungsgericht den die offenkundige Vorbenutzung rechtfertigenden Sachverhalt auch selbst aufzuklären und gelangt es hierbei zu der tatrichterlichen Überzeugung (§ 286 Abs. 1 ZPO), dass der Sachverhalt erwiesen ist, so ist – ungeachtet der Tatsache, dass die Einspruchsabteilung/der Nichtigkeitssenat aufgrund ihrer eigenen Zeugenvernehmung selbstverständlich zu einer gegenteiligen Beweiswürdigung gelangen können – der Vorbenutzungstatbestand im Tatsächlichen so „dicht“, dass von seinem Beweis auch im parallelen Rechtsbestandsverfahren ausgegangen werden kann. Eine eigene Aufklärung der Vorbenutzungstatsachen durch das Verletzungsgericht kommt vor allem in zwei Konstellationen in Betracht: Zunächst dann, wenn der Verletzungsvorwurf auch auf ein paralleles Gebrauchsmuster gestützt wird, gegen den kein Löschungsantrag anhängig ist, so dass sich das Verletzungsgericht selbst eine Meinung von seiner Schutzfähigkeit zu bilden hat, was notwendige Beweiserhebungen zu schutzhindernden Vorbenutzungen einschließt. Ein Anlass zu eigener Beweiserhebung besteht ferner dann, wenn der zur offenkundigen Vorbenutzung vorgetragene Sachverhalt gleichzeitig die Voraussetzungen für ein geltend gemachtes privates Vorbenutzungsrecht (§ 12 PatG) erfüllt, das vom Verletzungsgericht zu klären ist.

Davon, dass sich der offenkundige Vorbenutzungssachverhalt im Rechtsbestandsverfahren voraus- sichtlich bewahrheiten wird, ist weiterhin dann auszugehen, wenn der fragliche Sachverhalt in einer ausländischen Jurisdiktion (wie vorliegend im Vereinigten Königreich) für bewiesen gehalten worden ist oder dort – wie hier – sogar unstreitig war.

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