Keine gesonderte Beschwerde des Einsprechenden erforderlich, dessen Einspruch als unzulässig gilt.

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Muss ein Einsprechender, dessen Einspruch als unzulässig gilt, gesondert Beschwerde gegen diese Entscheidung einlegen, um an der Beschwerde zur materiellrechtlichen Prüfung des Patents mitwirken zu dürfen? Nein, entschied nun die Beschwerdekammer in T 540/13.

Zur Entscheidung

T 540/13, Entscheidung vom 29.3.2017

Relevante Rechtsnormen

Art.107, R.77 EPÜ

Sachverhalt

Gegen das erteilte Patent EP 1 350 373, dass auf ein Verfahren zum Zertifizieren elektronischer Dokumente gerichtet war, legten gleich drei Einsprechende O1 bis O3 Einspruch ein. O1 übermittelte das Einspruchsschreiben unter Angabe der Einspruchsgründe per Fax und dem Hinweis, dass die Tatsachen zur Stütze des Einspruchs gesondert „folgen“.

Obwohl am letzten Tag der Einspruchsfrist die zur Stütze des Einspruchs erforderlichen Tatsachen von O1 fristgerecht per Post beim EPA eingingen, wurde O1 nach Ablauf der Einspruchsfrist durch den Formalsachbearbeiter auf das Fehlen der Tatsachen hingewiesen. Daraufhin übermittelte O1 die Tatsachen wiederholt (diesmal per Fax), allerdings ohne jeden Hinweis, dass diese bereits zuvor eingereicht worden waren.

Da nach Auffassung des Formalsachbearbeiters O1 innerhalb der Einspruchsfrist keine Tatsachen zur Substantiierung seines Einspruchs vorgebracht habe, teilte dieser O1 mit, dass dessen Einspruch als unzulässig verworfen werde. In Erwiderung hierzu verwies O1 auf das fristgerecht per Post eingereichte Schreiben am letzten Tag der Einspruchsfrist.

Fast fünf Jahre später wurde O1 mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung erstmals durch die Einspruchsabteilung darauf hingewiesen, dass dessen nachträglich per Post eingereichtes Schreiben keine Tatsachen zur Stütze des Einspruchs enthielt und der Einspruch aufgrund fehlender Substantiierung als unzulässig verworfen werde.

Nach Anhörung der Einsprechenden, wurde der Einspruch von O1 in der mündlichen Verhandlung als unzulässig verworfen. Zugleich wurde das einspruchsgegenständliche Patent in vollem Umfang widerrufen, da der Gegenstand des europäischen Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausging. Gegen den Widerruf des Patents durch die Einspruchsabteilung legte die Patentinhaberin Beschwerde ein.

Auch O1 legte gegen die gesonderte Entscheidung, wonach sein Einspruch als unzulässig galt, Beschwerde ein.

Bisherige Rechtsprechung

  1. Grundsätzlich müssen die Beschwerdekammern, bevor sie sich mit der materiellrechtlichen Prüfung des Falles auseinandersetzen, zuerst die Frage der Parteistellung und die Zulässigkeit eines Einspruchs von Amts wegen klären (T 384/08).

In T 898/91 vertrat die Beschwerdekammer die Ansicht, dass ein Einsprechender, dessen Einspruch rechtskräftig verworfen worden ist, nicht mehr Beteiligter des Einspruchsverfahrens sei und somit auch nicht am Beschwerdeverfahren der Beschwerde eines Verfahrensbeteiligten beteiligt sein kann. Wolle der Einsprechende, dessen Einspruch als unzulässig gilt, am Beschwerdeverfahren zur materiellrechtlichen Prüfung des Patents mitwirken, müsse er seinerseits eine Beschwerde gegen die Entscheidung einlegen, wonach sein Einspruch als unzulässig gilt.

Demgegenüber befand die Beschwerdekammer in T 1178/04, dass für den Fall, in dem die Einspruchsabteilung die Unzulässigkeit eines Einspruchs beschließt, es nicht erforderlich ist, dass der Einsprechende, dessen Einspruch unzulässig ist, gegen diese Entscheidung Beschwerde einlegen muss, um die Beteiligtenstellung für eine Beschwerde zu wahren, die von einem anderen Beteiligten eingelegt worden wurde.

  1. Nach ständiger Rechtsprechung muss in Fällen, in denen eine Unstimmigkeit darüber vorliegt, ob ein förmliches Schriftstück tatsächlich durch die Post beim EPA eingegangen ist, geprüft werden, welches der folgenden zwei Szenarien wahrscheinlicher ist, nämlich ob es wahrscheinlicher ist, dass:

(i)  das Schreiben, die Schriftstücke nicht enthalten hat, oder

(ii)  die Schriftstücke im EPA verloren gegangen sind.

Hierzu entschied die Juristische Beschwerdekammer in J 20/85, dass die betreffende Dienststelle des EPA eine Untersuchung und Beweisaufnahme veranlassen müsse, sobald sich zeigt, dass zwischen dem EPA und einem Verfahrensbeteiligten Uneinigkeit über eine Tatfrage besteht, da es bei der Ermittlung und Beweisaufnahme die zu einem späteren Zeitraum (hier über ein Jahr nach den maßgeblichen Ereignissen) stattfinde, unwahrscheinlich sei, dass sich das Personal der Poststelle noch deutlich erinnern könne. Im Ergebnis verlagert sich in einem solchen Fall die Beweislast zum EPA, wobei der im Zweifel stehende Sachverhalt zugunsten des Beteiligten auszulegen ist.

Entscheidungsgründe

Im vorliegenden Fall schloss sich die Beschwerdekammer nun der Ansicht aus T 1178/04 an, wonach für den Fall, in dem die Einspruchsabteilung beschließt, dass ein Einspruch unzulässig ist, jedoch mindestens ein anderer zulässiger Einspruch eingereicht worden ist, es nicht erforderlich sei, dass der Einsprechende, dessen Einspruch als unzulässig gilt, gegen diese Entscheidung gesondert Beschwerde einlegen muss, um die Beteiligtenstellung für eine Beschwerde zu wahren, die von einem anderen Verfahrensbeteiligten eingelegt worden ist.

Ungeachtet dessen befand die Beschwerdekammer, dass der Einspruch von O1 von vornherein zulässig war, da sie einerseits davon ausgehen müsse, dass die Postsendung am letzten Tag der Einspruchsfrist die zur Stütze des Einspruchs erforderlichen Tatsachen enthielt und gleichzeitig weder der Formalsachbearbeiter noch die Einspruchsabteilung Anstrengungen unternommen zu haben scheinen, um zu untersuchen, ob die Tatsachen im EPA verlegt wurden.

Nach Auffassung der Beschwerdekammer, hätte eine solche Untersuchung spätestens nach der Erwiderung von O1 auf die Mitteilung des Formalsachbearbeiters erfolgen müssen, mit der dieser O1 darüber informierte, dass innerhalb der Einspruchsfrist keine Tatsachen zur Substantiierung seines Einspruchs vorgebracht worden seien.

Ohne eine solche Untersuchung sei es unklar, wie es von der Einspruchsabteilung mehr als vier Jahre später als eine Tatsache angesehen werden konnte, dass die Tatsachen nicht eingegangen seien.

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