Messwerte: Der Fachmann muss wissen, nach welchem Standard er messen soll

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Zum Urteil

LG Düsseldorf, 4b O 40/16, 06.10.2016

Relevante Rechtsnormen

§§ 935, 940 ZPO

Sachverhalt

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt nahm die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte wegen der Verletzung des deutschen Teils eines europäischen Patents auf Unterlassung und Verwahrung in Anspruch. Das Verfügungspatent betrifft eine Kehlkopfmasken-Atemwegsvorrichtung zum Intubieren von bewusstlosen Patienten. Der kennzeichnende Teil des Verfügungspatentanspruchs benennt bestimmte Durometer, die durch die Maßeinheit „Shore-A“ ausgewiesen sind.Auf den Einspruch eines Dritten hin, hielt die Einspruchsabteilung des EPA das Verfügungspatent beschränkt aufrecht. Die Einspruchsführerin legte Beschwerde ein. Auf den Antrag der Verfügungsklägerin erlies die 4b. Zivilkammer eine antragsgemäße Beschlussverfügung gegen die Verfügungsbeklagte. Die Verfügungsbeklagte legte Widerspruch ein und trat dem Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem EPA bei (Art. 105 EPÜ). Im Einspruchsbeschwerdeverfahren greift sie den Rechtsbestand des Verfügungspatents wegen unzureichenden Offenbarung (Art. 100 (b), 83 EPÜ) an, was bisher weder im Erteilungsverfahren, noch im Einspruchsverfahren thematisiert war.

Sie argumentiert, dass die angegebenen Durometer zu unbestimmt seien, da der Fachmann nicht angeleitet werde, wie er die Shore A-Härte messen soll. Hintergrund dafür ist, dass die Shore-A-Härte keine feststehende Maßeinheit ist. Im Prioritätszeitpunkt des Verfügungspatents existierten weltweit mindestens sechs Messstandards, die sich in den geltenden Messparametern und damit in den Messergebnissen unterschieden. Da das Verfügungspatent insgesamt dazu schweige, nach welchem Standard die Shore-A-Härte zu messen ist, sei die patentgemäße Lehre nicht ausführbar. Im Übrigen könne auch eine Verletzung nur angenommen werden, wenn bei Messungen nach allen Standards eine anspruchsgemäße Shore-Härte erreicht werde.

Bisherige Rechtsprechung

Anders als die Münchener Patentstreitgerichte (vgl. etwa LG München I, Urt. v. 20.05.2016, 21 O 22243/15), setzen die Düsseldorfer Patentstreitgerichte für einstweilige Verfügungen aus Patenten grundsätzlich voraus, dass das Patent in einem kontradiktorischen Rechtsbestandsverfahren bestätigt ist. Eine gute Übersicht bietet die Entscheidung Harnkatheterset des 2. Zivilsenats (Urt. v. 29.04.2010, I-2 U 126/09). Wenn der Patentinhaber wartet, bis sein Patent „durch das Feuer gegangen“ ist, entsteht im Zeitpunkt der Rechtsbestandsentscheidung nach der Düsseldorfer Rechtsprechung die zeitliche Dringlichkeit neu (OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.11.2008, I-2 U 35/08 – Dosierinhalator). Der Antragsgegner/Verfügungsbeklagte kann nach den Grundsätzen der Entscheidung Gleitsattelscheibenbremse II (OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.09.2010, I-2 U 47/10) den Rechtsbestand des Verfügungspatents wieder in Frage stellen, wenn er ihm in einem neuen Rechtsbestandsverfahren neuen erfolgversprechender Stand der Technik entgegenhält, der in früheren Verfahren nicht vorlag und von den zuständigen Behörden oder Gerichten nicht berücksichtigt werden konnte. Dass eine mögliche Rücknahme der Einspruchsbeschwerde möglicherweise nicht in der Hand der Verfügungsbeklagten liegt, ist nach der Entscheidung Mautberechnung des BGH (GRUR 2011, 848) nicht in die Erfolgsprognose des Rechtsbestandsangriffs einzustellen. Denn selbst wenn das Einspruchsverfahren wegen einer Rücknahme der Beschwerde erfolglos bliebe, sei gleichwohl damit zu rechnen, dass die Verfügungsbeklagte mit einer im Anschluss erhobenen Nichtigkeitsklage hinreichende Erfolgsaussichten auf eine Vernichtung des Verfügungspatents hätte.

München Karlsruhe Düsseldorf

Entscheidungsgründe

Messwerte im Patentanspruch müssen stets in der Beschreibung um das zugrunde gelegte Messverfahren ergänzt werden, wenn im Prioritätszeitpunkt mehrere Messverfahren vorhanden sind, die zu unterschiedlichen Messergebnissen führen können.

Die Kammer sah den erstmals erhobenen Einwand der unzureichenden Offenbarung als erfolgversprechend an und hielt es für ausreichend wahrscheinlich, dass das Verfügungspatent deshalb im Beschwerdeverfahren widerrufen wird. Sie befasste sich in der Begründung ihrer Entscheidung damit, ob aus dem territorialen Geltungsbereich des Schutzrechts oder dem Ort des Wohnsitzes des Erfinders Rückschlüsse auf einen präferierten Messstandard gezogen werden könnten. Der Fachmann werde sich nicht allein deswegen, weil es sich um ein EP handelt, bei der Auswahl des Standards auf solche aus der BRD und/oder Europa beschränken. Auch die Beschwerdekammer des EPA hatte sich zuvor (T 2074/11) mit einem vergleichbaren Fall befasst. Da viele Unternehmen international arbeiten, bestehe für den Fachmann kein Anlass, den einen oder anderen Standard vorzuziehen. Vielmehr werde der Fachmann alle nach seinem Fachwissen zum Prioritätszeitpunkt vorhandenen üblichen Standards zur Bestimmung der Shore A-Härte heranziehen, die ihm zuverlässige Messergebnisse über den Härtegrad des zu untersuchenden Materials liefern werden. Von den sechs im Prioritätszeitpunkt bekannten Standards lieferten wenigstens drei Standards gleichermaßen zuverlässige Messergebnisse. Der Fachmann sah sich bei Messungen nach den unterschiedlichen Standards mit einer Abweichung von bis zu ca. 7 Shore-A konfrontiert.

Da mehrere Messverfahren in Betracht kämen, hätte die Verfügungsklägerin die Kammer davon überzeugen müssen, dass dem von ihr vorgeschlagenen Messverfahren der Vorzug zu geben sei. Dies lasse sich nur durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens ermitteln – was der Kammer aufgrund des Eilcharakters des Verfügungsverfahrens jedoch verwehrt war.

Konsequenz/Schlussfolgerung

Auch wenn sich die Entscheidung überwiegend im gesicherten Fahrwasser der obergerichtlichen Rechtsprechung bewegt, zeigt sie auf, dass Verfügungsverfahren mitunter eine erstaunliche Wende nehmen können. Die Verfügungsbeklagte konterte die fachgerichtliche Entscheidung des EPA kreativ. Auch wenn das Ergebnis aus Sicht des Patentinhabers misslich erscheinen mag, zeigt das Hin und Her in der Rechtsbestandsargumentation sehr anschaulich die Glaubhaftmachungslast im Verfügungsverfahren auf. Die Diskussion um den anwendbaren Standard zeigt, dass Messwerte im Patentanspruch stets in der Beschreibung um das zugrunde gelegte Messverfahren ergänzt werden müssen – jedenfalls wenn im Prioritätszeitpunkt mehrere Messverfahren vorhanden sind, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.

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